DVD als Filmmedium

31. Juli 2008

Von der britischen Zeitschrift „Covergence“ ist im letzten Jahr (Vol. 13, No. 2, May 2007) ein Sonderheft unter dem Titel „Special Issue: The Consumption and Use of DVDs [add-ons]“ erschienen. Untersucht werden die Besonderheiten des Mediums DVD gegenüber anderen Filmmedien, also die sog. Zusatzfeatures wie Kommentare oder verschiedene Sprachspuren und ihre Nutzung durch das Publikum. Herausgeber Pat Brereton gibt im Editorial einen Überblick:

„Several articles in this issue insinuate how the creation of fan cultures is becoming a global mainstream phenomenon somewhat paradoxically and marshalled by the industry to maximise consumption. DVDs certainly encourage such fan cultures alongside older terms like ‘cinephiles’ and ‘technophiles’ to promote a new digital logic of consumption. Drawing on a typology of new media pleasures (see Kerr et al. 2006), ‘control’ appears to be a defining characteristic of DVD usage and new media critics frequently theorise how this is negotiated in game/play environments. DVDs have become an appropriate technology for a new media-literate generation to apparently extend their home consumption control.“ (Pat Brereton)

Der Jahrgang 2007 ist leider nicht in den kostenlosen Nationallizenzen enthalten, da Sage-Zeitschriften nur bis 2006 erworben wurden.


Fabrik der Gesten – Körpersprache im Film

28. Juli 2008

Die russische Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa hat die DVD „The Factory of Gestures“ über ihre Studien zur Körpersprache im russischen und sowjetischen Film und ihre Rückwirkung auf die Gesellschaft veröffentlicht. Dieses Projekt entstand im Zusammenhang mit ihrem Buch „Fabrika Zestov“ (Moskau, 2005), für das sie im gleichen Jahr den Preis der Filmkritikergilde Russlands für das beste Buch im Bereich der Filmtheorie bekam:

„Die Fabrik der Gesten“ ist ein umfangreiches audiovisuelles Forschungsprojekt von Oksana Bulgakowa (entstanden zwischen 2003 und 2008 am Stanford Humanities Lab – in Zusammenarbeit mit Dietmar Hochmuth, Ko-Regie und Produktion, und Gregor Hochmuth, digital design), das die grandiose Veränderung der Körpersprache in der russischen und sowjetischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert im Film und im Leben – unter dem Einfluss des Films und in der Rückwirkung auf ihn – verfolgt (und nun auf DVD vorliegt).“ (Oksana Bulgakowa)

Das Projekt „Fabrik der Gesten“ wurde auch auf der 5. berlinbiennale im Mai dieses Jahres vorgestellt. Die DVD kann bei Potemkin Press in Berlin direkt bestellt werden oder auch auf der Website von Dietmar Hochmuth.

Nachtrag:Eine Korrektur zu diesem Eintrag: Oksana Bulgakowa ist eigentlich keine russische Filmwissenschaftlerin. Sie arbeitet seit Mitte der siebziger Jahre in Berlin, zunächst in der DDR, dann im gesamtdeutschen und internationalen Rahmen – siehe hier und hier.


Hyperkino

24. Juli 2008

Auch dieser Hinweis verdankt sich wieder Kristin Thompsons und David Bordwells Bericht aus Bologna. Nikolai Izvolov vom Cinema Art Academic Research Institute in Moskau und Natascha Drubek-Meyer  (Info) der Film and TV School of the Academy of Performing Arts in Prag haben offenbar etwas Ähnliches entwickelt wie die Gruppe um Anna Bohn an der Universität der Künste in Berlin und dafür den markanten Begriff Hyperkino gefunden, analog zum Hypertext für schriftliche Dokumente:

„HYPERKINO is based on this fruitful intertwining of textual criticism and innovative hypermedia technologies. We have connected the traditional principles of annotation with digital technologies and their mark up languages (like html), applying hypermedia principles of commentary to the linear medium of film. HYPERKINO annotations of a film are comparable to the footnotes and the commentary in historical-critical editions of texts, with the only difference being that they are comprised of various media forms (text, sound, pictures).  (Hyperkino)

Welchen wissenschaftlichen Ansprüchen Natascha Drubek-Meyer und Nikolai Izvolov mit ihrem Verfahren gerecht werden wollen, haben sie in diesem Artikel beschrieben:

Critical editions of films in digital formats (In: Drubek-Meyer, N. and Izvolov, N. (2008), ‘Critical editions of films in digital formats’, Studies in Russian and Soviet Cinema 2: 2, pp. 205–216, doi: 10.1386/srsc.2.2.205/1 ) – auch auf Deutsch: „Textkritische Editionen von Filmen auf DVD. Ein Diskussionsbeitrag“, in: montage a/v. Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation, 16/1/07, p. 183-199.

Die erste DVD mit Hyperkino-Annotationen ist bereits erschienen: „Das Projekt des Ingenieurs Pright“, ein Stummfilm von Lev Kuleshov aus dem Jahr 1918:

„Die DVD bringt den Hauptfilm in zwei Versionen mit Hyperkino-Annotationen (hypermedialen Filmanmerkungen wie das Indizieren von Filmeinstellungen mit »Fußnoten« – Texte, Ton, Fotos, Clips) von N. Izvolov und N. Drubek-Meyer.“ (absolut Medien)


Philip Zimbardo: Das Stanford Prison Experiment

24. Juli 2008

Auf dem International Congress of Psychology in Berlin hat Philip Zimbardo vorgestern von dem erschreckenden Déjà Vue-Effekt berichtet, als er die Folterbilder aus Abu Ghraib zu sehen bekam.  Zimbardo hatte 1971 zu Forschungszwecken eine ähnliche Situation simuliert, die als Stanford Prison Experiment bekannt wurde. Wie der Tagesspiegel von heute in dem  Artikel „Das Experiment vor Abu Ghraib“  schreibt, musste Zimbardo das Experiment seinerzeit abbrechen:

„Und dann erzählt er die Geschichte seiner persönlichen Heldin: Seine damalige Freundin und heutige Frau sei fassungslos gewesen, als sie ihn am fünften Tag im Institut besuchte. „Sie stellte mich vor die Alternative: Entweder ich beende das Experiment oder sie verlässt mich“, sagt er. Am nächsten Morgen schickte der Psychologe die Versuchspersonen nach Hause. (Tagespiegel)

 Die Dokumentation zu diesem berüchtigten Experiment „Quiet Rage: The Stanford Prison Experiment“ kann auf DVD bei Philip Zimbardo direkt bestellt werden:

„Guaranteed to stimulate critical thinking and discussion, the film features archival footage, flashbacks, post-experiment interviews with the prisoners and guards, and comparisons with real prisons. It documents the surprise arrests by city police and vividly shows the pathology that developed among participants, forcing the two-week study to be terminated after only 6 days.“ (The Stanford Prison Experiment)


Metropolis

15. Juli 2008

Ein Nachtrag zur Entdeckung der nahezu kompletten Fassung von Metropolis in Buenos Aires, die in der deutschen Presse (Die Zeit) bereits ausführlich behandelt worden ist:

David Bordwell berichtet in seinem Blog vom Festival für den restaurierten Film Il Cinema Ritrovato über die kurze Präsentation, die Martin Körber (Deutsche Kinemathek), Anke Wilkening (Friedrich-Wilhelm-Murnau Stiftung), Anna Bohn (Universität der Künste, Berlin) und Luciano Berriatua (Filmoteca Espanola) dort zum Fund gemacht haben. Wie sich herausgestellt hat, füllt die jetzt aufgefundene Kopie ziemlich genau die Leerstelllen der Studienedition, die unter Leitung von Enno Patalas nach der Konzeption von Anna Bohn an der Universität der Künste in Berlin erabeitet wurde:

„Bohn’s and Patalas‘ comparative method proved itself valid: The Buenos Aires footage fitted the gaps in their study edition perfectly!“ (David Bordwell)

Bald wird es hoffentlich eine Studienedition ohne Lücken geben können, auch wenn die Bildschäden der entdeckten Kopie „beyond the reach of our algorithms“ liegen könnten, wie Martin Körber in Bologna meinte.

Die Studienfassung von Metropolis aus der Reihe „DVD als Medium kritischer Filmeditionen“ enthält übrigens als einzige Veröffentlichung überhaupt das Drehbuch von Thea von Harbou (Rezension der Edition von Olaf Brill).


Jonathan Rosenbaum empfiehlt DVD-Box Sets

15. Juli 2008

Jonathan Rosenbaum, renommierter Filmkritiker des Chicago Reader mit eigenem Blog und soeben in den Ruhestand getreten, hat wieder eine seiner markanten Empfehlungslisten für Box Sets des weltweiten DVD-Markts zusammengestellt. My Dozen Favorite Non-Region-1 Box Sets enthält 12 ungewöhnliche Tipps, von denen einige auch schon in diesem Blog genannt wurden. Wie immer kenntnisreich geschrieben mit interessanten Details zu den einzelnen Editionen, behandelt er auch die Qualität eindrucksvoller Extras:

„Perhaps my favorite extra on any DVD appears on the region-1 DVD of D.W. Griffith’s Orphans of the Storm (1921). It’s a radio eulogy for Griffith delivered by Erich von Stroheim when Griffith died, and it ends with Stroheim bursting into tears.“ (Jonathan Rosenbaum)

Manche seiner Empfehlungen sind zwar nicht immer aktuell, aber meist noch lieferbar, wie der Hinweis auf eine Werkausgabe mit Filmen Hou Hsiao-Hsiens aus den achtziger Jahren („Hou Hsiao-Hsien’s Classics“) – noch lieferbar als „Hou Hsiao-Hsien Kessakusen DVD Box 1980’s“ bei cdjapan.co.jp.


Disc versus Download

14. Juli 2008

Der Markt für Filme auf Discs entwickelt sich in den USA anders, als manche Analysten es vorausgesagt haben. DVD und Blu ray werden keinewegs durch Download-Medien verdrängt. Recherchen des Home Media Magazine kamen jetzt zu entsprechenden Ergebnissen („Digital doesn’t Break Disc“). Marktforscher haben auch eine Erklärung für die absonderliche Diskrepanz zwischen Prognosen und Käuferverhalten:

„Most analysts are techno-geeks with plenty of money and not much time, while most Americans are not technically savvy, and they have plenty of time but not much money,“ said Adams, president of Adams Media Research. „The fact is, despite what many on Wall Street seem to think, there is very little digital downloading going on. We’re talking about $118 million in 2007 spending, and about $254 million this year — so against a $24 billion packaged media market it’s really not making much of a dent at this point.“ (Hollywood Reporter)

Dazu passt eine Meldung des Media Infodienst von heute: „Weniger Deutsche laden Musik aus dem Internet“.

Da viele Journalisten voneinander abschreiben, entwickelt sich schnell ein Hype, so wie der immer wieder behauptete Trend zu Download-Medien. Doch die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus.


George Grosz‘ Interregnum

11. Juli 2008

Altina und Charles Carey haben 1960 einen Kurzfilm gemacht, der den Aufstieg und die Herrschaft der Nationalsozialisten anhand der Zeichnungen von George Grosz darstellt. Grosz, der 1933 in die USA emigrieren musste, war ein scharfer Beobachter dieses Milieus, dessen Physiognomie er in seinem Werk prägnant herausgearbeitet hat.

Sprecherin im Film ist Lotte Lenya. „George Grosz‘ Interregnum“, auch unter dem Titel „Germany between the Wars“ vertrieben, wurde 1961 als bester Kurzdokumentarfilm für den Oscar nominiert.

Eigentlich ist der Film nicht mehr zugänglich. Er wurde lediglich als 16mm-Schmalfilm in Umlauf gebracht, wovon es noch Kopien in drei amerikanischen Bibliotheken gibt. Doch der Kameramann des Films, Terry Sanders , bietet ihn auf der Website seiner Firma American Film Foundation in Santa Monica an. Dort kann er auf DVD bestellt werden. 2009 jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.


China Blue

11. Juli 2008

Passend zur laufenden Berichterstattung über das wirtschaftlich boomende China bringt der Dokumentarfilm „China Blue“ von Micha X. Peled die Sicht von unten. Wer zahlt eigentlich die Kosten für die billigen Textilien in den wohlhabenden Ländern?

Es sind Menschen wie die 16-jährige Jasmin Lee, die 14 Stunden täglich in der Jeansfabrik Lifeng in Shaxi für 2 Euro am Tag schuften müssen. Die Film schildert die erbärmlichen Lebensumstände von Jasmin und ihren Freundinnen, ganz gegen den Willen von Herrn Lam, früher Polizeipräsident von Shaxi und jetzt Besitzer der Fabrik (mehr dazu bei 3Sat). Der Film entstand unter schwierigen Drehbedingungen:

„China übt eine starke Kontrolle über ausländische Medien aus. Das gesamte Filmprojekt war geheim, denn wir gaben vor, uns als Touristen in China zu bewegen. Wir schmuggelten unsere DV-Kamera ins Land, indem wie sie auseinander nahmen und die Einzelteile in verschiedene Einkaufstüten packten. Während wir in der Fabrik relativ geschützt drehen konnten, bekamen wir, als wir unsere Protagonisten in ihre Heimatprovinz begleiteten, häufig Schwierigkeiten mit der Polizei.“ (Micha X. Peled)

Der Film wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wie dem Amnesty Human Rights Award beim Amsterdam International Film Festival, dem PBS Independent Lens Audience Award 2007 und dem Amnesty International Award I.D.F.A. 2005.

„The Best Documentary of Toronto 2005? Micha Peled’s China Blue, a heartbreaking, truly unforgettable „cinema verite“ stay with two teenage girls employed in a Chinese bluejean factory. It’s even worse than the news stories, the exploitation, degradation, and downright slavery of millions of Chinese peasants who have traveled to the cities looking for work.“ (Gerald Peary, The Boston Phoenix)

In Europa ist der Film in der DVD-Reihe des Dokumentarfilmfestivals Amsterdam IDFA’s delicatessen herausgekommen und in den Niederlanden in der englischen Originalfassung bestellbar. Weitere Filme auf DVD von Micha X. Peled sind bei seiner Firma Teddy Bear Films direkt erhältlich.

„China Blue“ wäre in einer deutschen Fassung zweifellos für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen geeignet. Sie könnten hautnah erleben, unter welchen Umständen die billigen Klamotten von ihren Altersgenossen in China zusammengenäht werden müssen.


Beyond the Multiplex

7. Juli 2008

Barbara Klinger hat die noch wenige bekannte Kultur des Heimkinos untersucht. In ihrem Buch „Beyond the Multiplex: Cinema, New Technologies, and the Home“ (University of California Press) nimmt sie sich fünf Aspekte dieser kulturellen Alltagspraxis vor:

  • Die Liebhaber von High End-Technik für das Kino zuhause.
  • Die Sammler von Filmen auf DVD nach der Ära der Videokassette.
  • Das Kabelfernsehen als Medium der nationalen Filmgeschichte am Beispiel von American Movie Classics (AMC).
  • Das Vergnügen, Filme nach eigenen Wünschen mehrfach ansehen zu können.
  • Das Genre des parodistischen Kurzfilms im Web.

Leider werden diese spannenden Themen nicht wirklich erforscht, wie es vielleicht ein Ethnologe mit seinem Instrumentarium machen könnte. Lediglich die Texte der Beteiligten, vowiegend die der Anbieter, werden mit den Methoden der Cultural Studies untersucht. Das gilt vor allem für die ersten drei Kapitel:

„In previous chapters I have concentrated on the home’s discursive construction as an exhibition venue for cinema, registering viewers‘ reactions indirectly through industry sources, newspaper and magazine articles, Web sites, and scholarly accounts.“ (Barbara Klinger, S. 137)

Daraus entsteht ein Bild, das sich nur teilweise mit der Wirklichkeit einer neuen Medienpraxis deckt, da es lediglich die Absichten der Medienindustrie reflektiert. Die ehemaligen Konsumenten sind jedoch mit den Instrumenten, die das Internet bietet, aus ihrer passiven Rolle herausgetreten und beeinflussen mit ihrer eigenständigen Öffentlichkeit in Foren, Blogs und anderen Webangeboten über nationale Grenzen hinweg nachweislich so stark die Publikationspraxis der Medienindustrie, dass man von einer neuen Art von Filmkultur sprechen kann (siehe „The 21st Century Cinephile“). Das gerät in solchen Studien reiner Textexegese jedoch aus dem Blick.

Wissenschaftliche Arbeiten, die mit Begriffen wie „textual“, „narrative“, „rhetoric“, „discursive“ hantieren, sind also mit Vorsicht zu genießen. Ihr Erkenntniswert ist eingeschränkt. Die Literaturliste und der Anmerkungsapparat in Barabara Klingers Buch sind jedoch sehr lohnend.